Erzählungen
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Fragen, Termiten und Monsteraffen
(Letzer Teil der Erzählungen über den Besuch eines Agrarforschungsprojekts in Kakamega Forest, einem Regenwald im Westen Kenias). Warum ist der Kakamega-Regenwald auf ein Zehntel geschrumpft?Bernd und seine Forschertruppe suchen nach den Ursachen. Mitten im Urwald sind windschiefe Hütten ihr Heim, Urwaldriesen ihre Brüder und Schwestern. Auf der Lichtung teilen sich Termiten und Waldameisen die Hoheitsrechte.…
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Meal in a mud hut
(Teil 3 der Erzählungen über den Besuch eines Agrarforschungsprojekts in Kakamega Forest, einem Regenwald im Westen Kenias). Mit anhaltendem Gurgeln sendet mein Magen Warnsignale aus.„Gibt es eine Imbissbude?“, frage ich Kovu, den Wächter.„Hakuna! – Gibt es nicht!“, lautet die Antwort.Einen Maisgrill? „Hakuna!“Einen Kiosk? „Hakuna!“Ich schweige – unterzuckert. „Kuna mpishi hapa – es gibt hier einen…
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Affentheater
(Teil 2 der Erzählungen über den Besuch eines Agrarforschungsprojekts in Kakamega Forest, einem Regenwald im Westen Kenias). Nach ein paar Stunden Fußmarsch erreiche ich das Forsthaus. Andere sehen darin nur einen schlichten Flachbau – unten Stein, oben Holz. Ich aber sehe einen Palast. Das Dach über der Veranda wirkt wie eine schützende Hand; die rötlich…
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Kolbenstecker im Urwald
(Teil 1 der Erzählungen über den Besuch eines Agrarforschungsprojekts in Kakamega Forest, einem Regenwald im Westen Kenias). Der Bus kracht in eine Spurrille. Schlamm spritzt hoch, klatscht gegen die Scheiben. Kaum hat die alte Rostlaube ein Loch überwunden, schlittern wir schon ins nächste. Ich klammere mich an den Griff über mir; die beleibte Kenianerin neben…
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Jesus in Kenia
„Ich brauch ’ne Wohnung“, meint Bernd. Sahr, der Leiter des Entwicklungshilfebüros, tritt zur Landkarte und deutet auf den Nordwesten – dorthin, wo Kenia ins Nichts verläuft und Sudans Wüsten trockene Grüße schicken. „Da oben gibt’s keine Wohnungen“, sagt er. Ein Schatten huscht über Bernds Gesicht. Wie ein großer Teddybär steht er da.„Und was machen wir…
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What ya doin‘ here, white man?
„Spinnst du?“, fragt meine innere Stimme. Von acht bis sechs habe ich mir Berufsbildungsdaten reingeballert. Ich sauge Informationen auf, meine Finger fliegen über die Computertasten. Jetzt zucken die Augen, digitale Wespen stechen in meine Schläfen. „Raus!“, brüllt meine Seele. Ich lasse alles stehen, nehme zwei Stufen auf einmal. Ein Stuhl im Wohnzimmer kriegt en passant…
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Café ohne Kaffee
„Kahawa tafadhali!“, bestelle ich mit knarziger Stimme einen Kaffee.Die unruhige Nacht im Hoteli steckt mir in den Knochen. Eine Vogelspinne hatte an der gegenüberliegenden Wand gesessen. Sie zu ignorieren hatte ich nicht geschafft, sie zu erschlagen nicht gewollt. So habe ich die Nacht halb wach verbracht. „Kein Kaffee, nur Tee!“, meint die junge Frau hinter…
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Ab durch die Mitte!
Im Kleinbus übernachten? Mit sieben Leidensgenossen? Als junger Reisender hätte ich gelacht, mich zwischen Halbschlaf und Rückenschmerzen durchgewunden und am Morgen den Titel „Gesichtsältester“ mit einem Instantkaffee in der Hand entgegengenommen. „Was für eine Scheißnacht! Hahaha!“ Aber die Jugend liegt hinter mir. Und das hier ist nicht das Mittelmeer. Das hier ist Nordwest-Elfenbeinküste. Eine unruhige…
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All too hide, no one can find! – alles zu versteckt, niemand kann es finden.
„I am your taxman!“, ruft mir ein junger Mann entgegen und reckt den Zeigefinger in die Höhe. Auf seiner Anzugshose erzählen speckige Stellen von überhitzten Bügeleisen. Aus den geplatzten Nähten seines Hemds ragen lose Fäden wie winzige Antennen. „Good taxi! Good drive“, ergänzt er und deutet auf einen alten Toyota, der schläfrig in der Morgensonne…
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EU Blues
Bernd geht es nicht gut. Der mächtige Bauch drückt gegen die Schreibtischkante. Bläulich angeschwollene Tränensäcke schreien nach weniger Arbeit und mehr Schlaf. „Schau dir das an, Paul“, meint er und deutet auf die Dokumentenstapel vor sich. Einer hat die Form eines S und könnte jederzeit einstürzen. Ich behalte ihn argwöhnisch im Auge. „Sind alles Projektanträge.…
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Filou
1990 begann die Vorbereitung auf meinen dreijährigen Einsatz in Niger. Zunächst ging es zur Entwicklungshilfezentrale in Berlin. In wohltemperierten Seminarräumen erledigten wir Ausreiseformalitäten, übten Interviewtechniken und transformierten Dialekte zu vornehmem Französisch. Zumindest versuchten wir es. Draußen vor der Tür war das Thermometer im freien Fall: minus 5, 10, 15 … Die Havel fror zu; bei…
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Fremdland
Haus drängt sich an Haus, Mensch an Mensch. Ganz nah und doch weit voneinander entfernt, Kaltgeist getrennt. In der Straßenbahn sind alle am Galaxy, alle in ihrer Galaxie. Ich Armani, du nichts. Ich Nike-cool, du Discounter. Agro-Rap bricht aus Kopfhörern aus, zerschneidet die Bahn in Beats. Don’t touch me, ne me touche pas. Pass nur…
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Gutes Wasser vom Fluss
Ich sitze im schönsten Wartezimmer der Welt. Bis zum Boden reichen die Zweige des Mangobaums. Hellgrüne Früchte hängen an ihnen und warten auf ihre Reife. Hier, in diesem Raum zwischen Stamm und Fruchtgirlanden, hätte eine Großfamilie genügend Platz. Es ist herrlich kühl, nur ein paar auf den Boden fallende Sonnentupfer erinnern an die draußen brütende…
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Über den Wolken
Der Weg windet sich um einen Felsen. Ich weiche Gesteinsbrocken aus und trotte die letzte Steigung hinauf. „Wir sind da“, meint Amri wenig später. Vor uns liegt ein umzäunter Garten. Auf der rot-braunen Erde wachsen Kaffee, Bananen und Mais. Kühe und Ziegen weiden auf der Wiese. „Hier am Kilimandscharo bin ich aufgewachsen“, meint Amri. „Aber…
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Tränen am Mount Kenia
Ich ahne noch nichts von dem bevorstehenden Höllenritt. Blicke tasten nach mir. Sie gleiten über meinen Anzug und die gestreifte Krawatte. Ein ungewöhnliches Outfit für einen kenianischen Kleinbus, stimmt schon. Aber mein Stipendium reicht gerade so für Ugali (Maisbrei) und Logis in Bruchbuden. Die Interviews mit kenianischen Ingenieuren muss ich irgendwie hinkriegen. Zu den Terminen…
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Nice
Von dem kleinen Hostel muss ich noch ein gutes Stück die Landstraße hinunterlaufen. Nach einer guten Stunde erreiche ich das verrostete Haltestellenschild. Es steht mitten in der Savanne. Ein paar Traveller haben sich in den Schatten von Akazien geflüchtet. Ein paar Meter entfernt von der Straße inspiziert ein in Khaki gekleideter Tourist einen Baobab-Baum und…
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Le linge au vent – die Wäsche im Wind
Damals Den Korb vor sich steigt Fadia die Stufen empor. Ihr Schnaufen hallt im Treppenhaus, der Wäschekorb knarzt bei jeder Bewegung. Auf dem Treppenabsatz setzt sie ihn ab. „Langsam, mein Herz, langsam.“ Damals war sie ihrer Mutter hierhin gefolgt: eine Hand an ihrem Kleid, die warme Wade darunter, ein Stups vom Korb, wenn sie nicht…
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Dusche inbegriffen
Düstere Wolken hängen über Accra. Ich trinke mein Star-Bier aus, werfe noch einen Blick auf das Spiel der Sharks gegen Kotoko und mache mich auf den Weg. Als ich die Cool Breeze Beach Houses erreiche, zucken Blitze über den Nachthimmel. Ich klopfe an die Tür der Rezeption. Schlurfende Schritte erklingen; Addo zwängt seinen Kopf durch…
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Der Löwe von Niamey
Ganz entspannt sitze ich im Sessel. Vor mir dampfender Tee. Hinter den Dampfkringeln Mariama, die Direktorin des nigrischen Nationalmuseums. „Weißt du, Paul“, wiederholt sie im Minutentakt. Dazwischen erzählt sie von ihrem Kampf um das Museum. Die staatlichen Gelder reichen nicht. Die Tiere, die als Touristenattraktion beherbergt werden, kosten ein Vermögen. Und dann sind da noch…
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All too hide, no one can find
(D: Ist alles zu versteckt, das kann niemand finden) “I am your taxman!”, ruft mir der junge Mann zu, den Zeigefinger hat er emporgestreckt. Auf seiner Anzugshose erzählen speckige Stellen Geschichten von überhitzten Bügeleisen; wie Mikro-Antennen ragen Fadenreste aus den geplatzten Nähten seines Hemds. „Good taxi! Good drive“, ergänzt er und deutet auf einen alten…
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Ab durch die Mitte!
Im Kleinbus übernachten? Mit sieben Leidensgenossen? Als junger Reisender wäre das okay gewesen. Man hätte sich zwischen Halbschlaf und Rückenschmerzen durchgemogelt. Die Wahl zum Gesichtsältesten wäre am nächsten Morgen mit einem Becher Instant-Café erfolgt. „Was für eine Scheißnacht! Hahaha!“ Aber ich bin nicht mehr jung. Und ich bin auch nicht am Mittelmeer. Sondern im Nordwesten…
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Stonecrusher
Mein Name ist Nneka. Ich bin 16 Jahre alt. Ich bin Stone-Crusher. Wenn du in Sambia von Lusaka nach Harare fährst, wirst du mich sehen. Du musst bei meinem Steinhügel halten und Schotter kaufen. Es ist der Beste; ich habe ihn selbst kleingeschlagen. Um ihn herzustellen schleppen Männer Felsbrocken zum Straßenrand. Einer hebt seinen Vorschlaghammer…