Warum klappt das denn alles nicht?

Teil 2: Der Medieneffekt Warum schlechte Nachrichten regieren (und gute keine Chance haben)

Die häufigste Erklärung dafür, warum Entwicklungszusammenarbeit angeblich „nichts bringt“, lautet:
„Man sieht ja nie etwas davon.“

Und tatsächlich: Wer sich ausschließlich über Nachrichten informiert, bekommt ein Weltbild präsentiert, in dem alles gleichzeitig brennt, hungert, kollabiert oder scheitert. Die Welt erscheint als globales Katastrophengebiet – und Afrika scheint das Epizentrum einer nie endenden Tragödie zu sein.

Doch dieses Bild ist – bewusst provokativ formuliert – fundamental falsch.
Nicht leicht verzerrt.
Nicht „einfach nur Journalismus“.
Sondern systematisch irreführend.

Warum?
Weil Medien nicht abbilden, wie Entwicklung funktioniert.
Sie berichten über das, was sich dramatisch zeigen lässt.


1. Warum schlechte Nachrichten dominieren – die harte Logik dahinter

Die Medienlogik ist brutal einfach:

Regel 1: Negative Ereignisse erzeugen sofort Aufmerksamkeit.

Ein Cholera-Ausbruch ist spektakulär.
Eine Schule, die funktioniert, nicht.

Regel 2: Krisen sind schnell, Fortschritt ist langsam.

Ein Hochwasser zerstört ein Tal in 24 Stunden.
Der Aufbau eines funktionierenden Wassersystems dauert fünf Jahre.
Das eine ist sichtbar.
Das andere passiert in Besprechungen, Werkstätten, Behörden und Klassenzimmern – ohne Kamerabilder. Und wenig spektakulär.

Regel 3: Was nicht dramatisch aussieht, wird nicht gezeigt.

Die Kindersterblichkeit hat sich seit 1990 weltweit halbiert – ein epochaler Fortschritt.
Aber wie bebildert man das?
Mit gesunden Kindern? Mit Statistiken?
Das klickt nicht.

Regel 4: Erfolg ist langweilig. Scheitern ist spannend.

„Bangladesch halbiert Armut“ schafft es in die Fachpresse.
„Hungersnot in Somalia“ läuft in Endlosschleife.

So entsteht ein Weltbild, in dem Fortschritt unsichtbar bleibt – obwohl wir im größten Entwicklungssprung der Menschheitsgeschichte leben.


2. Die Welt verbessert sich – aber niemand merkt es

Einige Fakten, die kaum jemand kennt:

  • Über 2 Milliarden Menschen haben seit 2000 Zugang zu sauberem Trinkwasser erhalten.
  • Die Zahl der Menschen in extremer Armut hat sich seit 1980 mehr als halbiert.
  • Afrika ist heute der am schnellsten urbanisierende Kontinent.
  • In Ruanda liegt die Einschulungsrate von Mädchen höher als in Teilen Europas.
  • In Äthiopien stieg die Lebenserwartung von 45 Jahren (1990) auf über 67 Jahre (2024).
  • Nigeria bildet jährlich mehr Universitätsabsolventen aus als Deutschland.

Diese Entwicklungen sind revolutionär – aber sie passieren schleichend.
Sie passen nicht in 90 Sekunden Tagesschau.
Sie taugen nicht für TikTok.
Sie ergeben keinen Instagram-Post, der viral geht.


3. Wir verwechseln Medienrealität mit Wirklichkeit

Das führt zu kollektiven Fehleinschätzungen:

  • Mythos: „Afrika ist ein hoffnungsloser Fall.“
    Realität: Viele afrikanische Länder gehören zu den wachstumsstärksten Volkswirtschaften der Welt.
  • Mythos: „Entwicklungszusammenarbeit bringt nichts.“
    Realität: Forschung zeigt: Sie wirkt, wenn sie langfristig, lokal verankert und transparent gestaltet wird.
  • Mythos: „Armut nimmt zu.“
    Realität: Extreme Armut sinkt weltweit – nur sieht man es nicht in den Nachrichten.

Wir haben uns so an das Katastrophennarrativ gewöhnt, dass wir Erfolge ignorieren, selbst wenn sie schwarz auf weiß vor uns liegen.
Only bad news are good news.


4. Die Folgen: Erfolgreiche Länder verschwinden aus der Berichterstattung

Die Ironie ist frappierend:

Weil Entwicklungszusammenarbeit wirkt, geraten viele Länder aus dem Fokus. Sie sind schlicht zu stabil, zu erfolgreich, zu unaufgeregt für die Krisenlogik der Medien.

  • Ghana: zu friedlich
  • Vietnam: zu erfolgreich
  • Bangladesch: zu stabil
  • Nepal: zu unspektakulär
  • Ruanda: zu klein
  • Äthiopien: zu komplex
  • Indien: zu groß – und inzwischen zu mächtig, um „Hilfsempfänger“ zu sein

Stattdessen dominieren die immer gleichen Länder die Nachrichten: Sudan, Somalia, Ostkongo, Afghanistan, Libyen.

Das ist so, als würde man Europas Lage ausschließlich anhand von Berichten aus Donezk, Neapel und den französischen Banlieues beurteilen.


5. Der gefährliche Nebeneffekt: Politischer Pessimismus

Wenn Menschen glauben, „nichts bringe etwas“, dann…

  • sinkt die Zustimmung zu Hilfsprogrammen,
  • werden Budgets gekürzt,
  • wird internationale Kooperation delegitimiert.

Das ist nicht nur falsch.
Es ist gefährlich.

Denn die größten Erfolge der letzten Jahrzehnte wurden mit internationaler Unterstützung erreicht.

Wenn diese Unterstützung wegbricht, folgen Rückschritte oft erschreckend schnell. Und wir werden diese Rückschritte durch sich verschärfende Konflikte und Migrationsströme selbst zu spüren bekommen.


6. Der provokative Schluss

Wir sind nicht schlecht informiert.
Wir sind strukturell falsch informiert.

Objektiv wird die Welt in vielen entscheidenden Dimensionen besser:

  • höhere Lebenserwartung
  • sinkende Kinder- und Müttersterblichkeit
  • weniger extreme Armut
  • höhere Alphabetisierung
  • wachsende wirtschaftliche Stabilität
  • bessere Infrastruktur
  • mehr soziale Sicherheit

Doch subjektiv wirkt die Welt immer bedrohlicher.

Wir sehen nur das Brennglas – nicht das Gesamtbild.
Und genau dieses Brennglas liefern uns die Medien täglich, oft ohne Absicht.

Es ist Zeit, die Perspektive zu weiten – und die Welt jenseits von Schlagzeilen, TikTok und Insta-Alarmismus wahrzunehmen.


Kommentare

Eine Antwort zu „Warum klappt das denn alles nicht?“

  1. Yannick

    Das war gerade so schön zu lesen! Auch mir geht es so, dass ich immer wieder über dem Gedanken kreise dass es so viel krasses und negatives in dieser Welt gibt. Und manchmal tut es so gut einen Beitrag wie diesen zu lesen und zu merken: Es gibt auch soo vieles was gut läuft und Grund zur Freude bietet, man muss nur manchmal wissen wo man hinsehen muss. Vielen Dank fürs unter die Arme greifen dabei!

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