Im Kleinbus übernachten? Mit sieben Leidensgenossen? Als junger Reisender hätte ich gelacht, mich zwischen Halbschlaf und Rückenschmerzen durchgewunden und am Morgen den Titel „Gesichtsältester“ mit einem Instantkaffee in der Hand entgegengenommen. „Was für eine Scheißnacht! Hahaha!“
Aber die Jugend liegt hinter mir. Und das hier ist nicht das Mittelmeer. Das hier ist Nordwest-Elfenbeinküste. Eine unruhige Zone, wo der beendete Bürgerkrieg wie ein glimmender Funke immer wieder aufflammt.
„Sieht nicht gut aus“, sage ich zu Herrn Rodenbrück, dem Leiter eines deutschen Wirtschaftsverbands. „Wir sitzen fest.“
„Hat ja noch gefehlt“, knurrt er. Eine widerspenstige Strähne sprengt seine Altherrenfrisur, Schweiß frisst sich ins Markenhemd. Die Speisen waren ihm zu schlicht, die Toiletten zu roh, das Land zu viel.
„Il était soûl, ce mec. Il a cassé le poteau électrique – ein trunkener Fernfahrer hat den Strommast gefällt“, raunt mir ein Nachbar in tiefgelegtem Französisch zu. Die Straße werde erst morgen wieder frei sein.
Nun sammeln sich die Schaulustigen. Kinder ergattern unsere letzten Kekse – ein Keks, ein Lächeln. Daneben Augen, schwer von Nachkrieg und Armut, sie starren auf Laptops und Smartphones. Die Schatten wachsen. Die Grillen zirpen Unsicherheit in die Nacht. Unsichtbare Finger greifen nach uns.
„So ist das nun mal“, sagt Herr Rodenbrück matt. Stimmt schon. Nur hilft es uns nicht weiter.
Yaya, unser Leibwächter, knurrt ins Telefon: „Oui, Excellence.“ Am anderen Ende: der Handwerksminister. Mit einem Satz springt Yaya aus dem Bus, reißt die Heckklappe auf, zieht eine Glock 17 aus seiner Reisetasche. Die Waffe verschwindet im Bund seiner Hose. Ein kurzer Blick in die Nacht – ich folge ihm.
„Wir müssen durch die Maisfelder“, schlage ich vor. Mein Satz spiegelt sich in Yayas Sonnenbrille. In Bambara holt er sich das Okay von seinem Chef. Dann nickt er. „Let’s go!“
Und los! Wir preschen in die Gassen zwischen den Stauden. Blätter peitschen, Kolben hämmern „dak, dak, dak“ gegen die Karosserie. Yaya rennt neben dem Bus, schreit, feuert an. Die Menge springt ein: schiebt, wenn wir stecken, drückt, wenn wir schwanken. Schlamm spritzt, erwischt einen Helfer im Gesicht. Gelächter, Wischer, weiter! Wir schlittern, brechen aus – und dann, endlich: Traktion. Asphalt.
Ein Jubel bricht los. Yaya greift in die ministeriale Reisekasse: genug für den Maisfeldbesitzer, genug für die Helfer. Um 23 Uhr rollen wir ins Hotel. Shake hands mit Yaya. Das Essen geht auf mich. Die Bierchen auch. Die Sonnenbrille rutscht – ein schüchternes Lächeln erscheint auf dem Gesicht des vorher ultraharten Leibwächters.
„À ta santé!“ – „À la tienne!“ Durch die halbgeöffneten Fenster zirpen die Grillen, erst als der Adrenalinspiegel sinkt, merke ich, wie müde ich bin.
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