In Matara machen wir am Nachmittag noch einmal Halt. Wir entdecken ein kleines Restaurant auf der rechten Seite der Autostraße. Der Strand liegt links. In der Glut der Nachmittagshitze döst der Indische Ozean vor sich hin.
„Was ist mit eurer Uhr los?“, frage ich den Besitzer des Bistros. Die Wanduhr zeigt 9 Uhr 12 an.
„Als der Tsunami hier einschlug, blieb sie stehen.“, meint er. „Der Raum stand bis zur Decke unter Wasser“.
Ich gehe zu der Wanduhr. Das Ziffernblatt liegt unter einer Plexiglasscheibe. Der Hohlraum zwischen Ziffernblatt und Plexiglas ist im unteren Bereich mit Sand gefüllt.
„Wir haben sie als Erinnerung an diesen Tag so gelassen. Drei Menschen starben in diesem Raum.“, ergänzt er.
Ich starre die Uhr an. Sie brennt sich in mein Inneres ein.
Zu dem Text:
Im August 2007 führte ich eine Evaluierung in Sri Lanka durch. Bei der Mission evaluierte ich den Projektfortschritt des vor Ort implementierten Nukleus-Projekts.
Hierbei kooperierten Industrie- und Handelskammern mit Kleingruppen von Unternehmern, den sogenannten Nuklei. Die Kammern unterstützen die Gruppen dabei, ihre Probleme zu analysieren und entsprechende Lösungen gemeinsam zu realisieren. Häufig gehören hierzu Aus- und Fortbildungen, Kleinkredite, Beratungen und die Akquisition von Ausrüstungsgütern.
Industrie- und Handelskammern erhalten so wertvolle Hinweise auf die von Kleinunternehmen nachgefragten Leistungen. Sie können ihre Angebote dementsprechend ausbauen und verbessern. Die Unternehmer selbst werden im Idealfall Mitglied bei einer Kammer, helfen dieser, damit ihre Einkünfte auszubauen, und profitieren von den verbesserten Angeboten.
Das Projekt war als Reaktion auf den Tsunami gestartet worden. Am 26.12.2004 hatte er Sri Lanka getroffen. Über 30.000 Menschen starben. Andere waren traumatisiert, ohne Bleibe und ohne Gelderwerb. Die Evaluierungsreise führte mich rund um den südlichen Teil der Insel. Der nördliche Teil war damals noch unter Kontrolle der sogenannten Tamilen-Tiger, einer bewaffneten Rebellengruppe, die sich grausame Gefechte mit den Regierungstruppen lieferte.
Bei meiner Reise konnte ich viele durch den Tsunami angerichtete Schäden sehen: zerstörte Häuser und Hütten, tonnenschwere Stahltanks, die von den gewaltigen Wassermassen mitgerissen und wie Sprengladungen in Gebäude gekracht waren. Riesige Boote, die ein gutes Stück entfernt vom Meer auf Anhöhen zerschellt waren.
Ich sah aber auch die in knapp 3 Jahren erstaunlich umfassenden Resultate der internationalen Hilfsaktionen. In manchen Gegenden waren Dörfer und Kleinstädte bereits komplett wieder aufgebaut worden.
Herausforderung bei den Hilfsaktionen war schlecht koordinierte Überförderung. Der Flughafen der Hauptstadt brach zusammen. In Hinterräumen von Schulen fand ich Erste-Hilfe-Sets, die nie angewendet worden waren. Zudem kam es zu Korruption; u. a. meldeten Fischer bei zahlreichen Hilfsorganisationen ihr verlorenes Boot und kassierten enorme Hilfssummen. Wie fast immer bei Katastrophenhilfe wurden über Jahrzehnte gewachsene soziale Strukturen durcheinandergewirbelt: Es entstand zum Teil plötzlicher Reichtum; Wer Zugang zur Hilfsgüterverteilung hatte, konnte zu einer Art Feudalherr aufsteigen.
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