Schlank ist der Redner, der sich auf der Längsseite des Versammlungsraums erhoben hat. Auf seinen Wangen prangen Ziernarben. Mit schriller Stimme wendet er sich in Djerma an die knapp 100 Schneider, die der jährlichen Hauptversammlung des Verbands der nigrischen Schneider beiwohnen. Manchmal überschlägt sich seine Stimme, es ist klar, dass er sich bitter über jemand beschwert.
„Was hat er gesagt?“, frage ich leise unseren Übersetzer.
„Er beschwert sich über die schlechte Zahlungsmoral der Ministerien“, wispert er mir zu. „Hunderte von Uniformen habe er bereits hergestellt und geliefert. Aber bis auf eine geringfügige Anzahlung habe er nach einem halben Jahr noch nichts erhalten.“
Als der Djerma seine Rede beendet hat, versuche ich, zu beschwichtigen. Der Vorstand des Verbands könne doch beim Ministerium vorstellig werden, als Leiter des Handwerksförderprojekts könne ich ein gutes Wort für sie einlegen. Manchmal reicht das in der Vorbereitung aufpolierte Französisch noch nicht aus. Manchmal muss ich kurz den Übersetzer einschalten, er kann ganz gut Deutsch, so halbwegs schaffen wir es, uns verständlich zu machen.
Weit hinten steht nun ein anderer Schneider auf. Er ist Turareg. In Tamaschek bringt er sein Anliegen vor. Auch er scheint erregt zu sein. Seine rechte Hand klatscht immer wieder angriffslustig in seine Linke, so als ob dort ein Dokument liegen würde. Weit aus dem Norden ist er angereist, ich habe ihn unlängst mal in Agadez besucht.
„Was sagt er?“, frage ich leise unseren Übersetzer.
„Er meint, dass oben im Norden noch nie ein öffentlicher Auftrag angekommen sei. Die wesentlichen Geschäfte würden immer in der Hauptstadt abgewickelt“.
Während er noch redet, wird es laut. In einem Eck entsteht ein Tumult, zwei Scheider bedrohen sich mit der Faust.
„Ruhe, Ruhe, bitte“, rufe ich. Man habe doch vor einigen Monaten mit Hilfe des Projekts ein Komitee eingerichtet, das die öffentlichen Aufträge fair unter den Mitgliedern verteilen solle, wende ich ein. Damit sei doch ein guter erster Schritt in die richtige Richtung unternommen worden.
„Ein guter Schritt?“, fragt ein Schneider nach. Es ist das erste Mal, dass einer der Anwesenden Französisch spricht. Dann wechselt er in eine Lokalsprache. „Was hat er gesagt?“, frage ich erneut leise unseren Übersetzer.
„Dass er es ähnlich wie sein Kollege aus dem Norden sehe: Die großen Aufträge würden nur in der Hauptstadt verteilt; wer draußen lebe, bleibe außen vor.“
Wieder will ich schlichten, aber der Präsident der Vereinigung kommt mir zuvor. Wenn er sich dem Fenster des Versammlungsraums zuwendet, blinken die in seinen Bubu eingewebten Goldfäden. Sein mächtiger Bauch sprengt fast das Gewand. Er spricht Hausa, ein paar der von ihm benutzten Worte kenne ich bereits.
Moutaka, meine Partnerfachkraft in dem Handwerksförderprojekt, neigt sich zu mir:
„Der Übersetzer hat nicht alles gesagt“, flüstert er mir zu.
„Ach ja?“, frage ich überrascht nach. „Was hat er denn ausgelassen?“
„Der Tuareg hat der Verbandsleitung Korruption vorgeworfen.“
„Nein!“, meine ich erstaunt. „Und der Peulh?“
„Ist noch deutlicher geworden. Man müsse sich nur die schicke Villa des Präsidenten anschauen. Dann wisse man, wo das Geld bleibe.“
„Und warum übersetzt er mir das nicht?“, frage ich erbost. Ich kann doch schließlich nicht neben Französisch auch noch Djerma, Haussa, Tamaschek und Peulh sprechen und verstehen. Aus dem Grund haben wir ihn doch angestellt!“
„Vielleicht, weil er es für unschicklich hält, die recht derben Vorwürfe einem Fremden Wort für Wort zu übersetzen“.
„Hm“, brumme ich. Mehr fällt mir nicht ein. Der Lärm setzt mir zu. Ich schwitze. Die unablässig an der Decke rotierende Ventilatoren erinnern mich an die Windmühlen von Don Quijote. Wobei ich wohl der Reiter bin, der sie gerade angreift.
„Vielleicht auch, weil er das für Interna hält. Du bist für ihn der Fremde. Einer der Französisch spricht, die Sprache der ehemaligen Kolonialherren. Konflikte sollten Nigrer unter sich klären, meint er vielleicht“.
„Aber…“, meine ich und will etwas über den gemeinsamen Spirit, der das Projekt tragen soll, sagen. Aber die dafür geeigneten französischen Wörter wollen nicht in mir aufsteigen. Stattdessen schaffe ich nur noch ein trockenes Schmatzen.
„Vielleicht auch, weil er Hausa ist. Wie der Präsident. Das selbe Blut. Dieselbe Familie, du verstehst?“
„Hm“, brummele ich erneut. Der Präsident lässt sich Zeit für seine Ausführungen. Die mit Goldringen verzierten Hände untermalen mit weiten Gesten seine Ausführungen.
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