Haus drängt sich an Haus, Mensch an Mensch. Ganz nah und doch weit voneinander entfernt, Kaltgeist getrennt.
In der Straßenbahn sind alle am Galaxy, alle in ihrer Galaxie. Ich Armani, du nichts. Ich Nike-cool, du Discounter. Agro-Rap bricht aus Kopfhörern aus, zerschneidet die Bahn in Beats. Don’t touch me, ne me touche pas. Pass nur auf, ich bin stärker, ich bin schneller, ich bin härter. Pass nur auf. Keep your distance! Keep your distance!
Ich bin noch reisewund, ich weiß. Daheim und doch noch unterwegs. Verwirrt, verirrt, im weiten Spagat.
Ich träume mich zurück, Erinnerungen im Weichzeichner, orientalischer Zauber breitet sich aus. Von Rabat nach Marrakesch, von Tisch zu Tisch, stets überladen, ein Farbenfest. Willkommen, Gast, iss, Gast, iss! Lammstückchen simmerten in der Tajine, Kreuzkümmel- und Korianderduft, Safran sendete Grüße vom Bazar, Aprikosen und Rosinen kuschelten sich dazu. Iss, Gast, iss, du bist willkommen. Goldenbuttrige Couscousperlen, ein ganzer Sternenhimmel voll, mein Teller spielte Blume, kunterbunt getupft, die Blätter nach außen, der Kelch in der Mitte. Perlen rieselten darauf, die Lamm- und Aprikosenstückchen purzelten hinterher, ein Duftsaucenmeer ergoss sich außen herum.
Zurück daheim gilt in der Straßenbahn Maskenpflicht. FFP2 vor Mund und Nase, Knopf im Ohr, jeder für sich. Mein Blick tastet umher, findet nichts. Nervöse Finger flirren übers Galaxy, alle in der eigenen Galaxie, gemeinsam getrennt, alle für sich, Einzelplatz, wenn’s geht, ne me touche pas, keep your distance.
Draußen vor den Fenstern gähnt ein Stau. Ich groß, ich SUV, sagt ein Berg aus Blech, du nur Mini. Ich Sternen-Prinz, sagt ein anderer, du nur Japs-Kiste. Die Bahn passiert die Mittagstafel. Lang, endlos lang ist die Schlange davor. Menschen in Billigdaunenjacken, sie atmen Kaltdampf aus. Wieder ein Schritt; da vorne gibt es etwas Warmes, umsonst, Wärme auf dem Teller, immerhin, besser als nichts. „Der Nächste bitte! Stehen Sie nur links an! Vergessen Sie nicht, ihr Geschirr wegzuräumen!“
Reisewund, ich bin noch reisewund, ich weiß.
Und wieder wurde ich eingeladen. Chebakia und Gazellenhörnchen, Mandel, Sesam und Honig, Ghibra und Makroudh, Kokos, Erdnüsse und Orangenblütenwasser. Minztee dazu, heiß und zuckersüß, die Schwaden kreiselten empor. „Magst du Jagd?“, wurde ich gefragt. „Ich gehe häufig raus in die Berge. Nicht so? Dann komm doch zum Fischen mit, ich hab‘ ein eigenes Boot.“
Am letzten Tag bekomme ich ein Abschiedsgeschenk: eine Olivenholzkiste, blitzblank poliert. Die Maserung erzählt von dösenden Eulen und großäugigen Trollen, Tatzenspuren sind auch dabei. Darin ein Traum aus Argannüssen, kostbar wie flüssiges Gold, dazu bestes Olivenöl und Ghassoul à la Rose, für die Gemahlin, mit besten Grüßen.
Die Straßenbahn erreicht die Endhaltestelle, ich werde ausgespuckt. Trotte in einer Menschentraube, jeder für sich, gemeinsam getrennt. Mich fröstelt.
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