Fragen, Termiten und Monsteraffen

(Letzer Teil der Erzählungen über den Besuch eines Agrarforschungsprojekts in Kakamega Forest, einem Regenwald im Westen Kenias).

Warum ist der Kakamega-Regenwald auf ein Zehntel geschrumpft?
Bernd und seine Forschertruppe suchen nach den Ursachen. Mitten im Urwald sind windschiefe Hütten ihr Heim, Urwaldriesen ihre Brüder und Schwestern.

Auf der Lichtung teilen sich Termiten und Waldameisen die Hoheitsrechte. Mein Reisegepäck hänge ich an Schnüren auf; mich selbst verfrachte ich in die Hängematte. Wenn ich mal raus muss, ist der Knüppel immer dabei. Affenaugen leuchten in der Dunkelheit, es raschelt in den Ästen. Die Alphatierchen springen ungeniert auf das Dach unserer Vorratshütte und rütteln am Gebälk.

Am nächsten Morgen begleite ich das Forscherteam.
„Die Elefanten sind an allem schuld!“, meint Shomari, ein Kleinbauer. Für den hohen Besuch hat er sich ein weißes Hemd angezogen, der Hüttenboden ist blitzsauber. Nach dem Begrüßungstee zeigt er uns die Verwüstungen in seiner shamba: Das Maisfeld und der Gemüsegarten gleichen einem Schlachtfeld; zerfetzte Kohlstrünke liegen neben zertretenen Yams- und Maniokknollen.

Unser nächster Stopp ist das lokale Forstamt.
„Holzdiebe sind an allem schuld“, sagt der Ranger und zeigt auf zerhackte Bäume. Klagend ragen die massakrierten Aststümpfe empor.

Die Sonne steht schon tief, als wir bei der Lokalverwaltung ankommen. Eine fette Armbanduhr ziert das Handgelenk des Beamten, ein Krokodil sein Poloshirt. Die Regierung und ihre uniformierten Diener seien die Guten, erklärt er uns, die Wilddiebe und Holzbanditen die Bösen. Mit der Offroad-Showkarre werden wir durch den Urwald kutschiert.

Als wir zu einem Rundgang starten, versperrt uns ein Monster von einem Affen den Weg. King Kong ist sauer, weil schon wieder ein Trupp Homo sapiens durch sein Revier flaniert. Er bleckt die Zähne und trommelt auf den Brustkorb; sein Gebrüll lässt die Blätter erzittern.
„Ihr seid das Problem“, funkt er im Bodytalk zu uns herüber – ihr Touristen und Ornithologen, Forscher und Wilderer, Holzdiebe und Beamten.

Ich verstehe ihn, bin aber leider auf der falschen Seite. Nach einer Weile beruhigt er sich, und seine Sippe kreuzt den Waldweg: die Älteren würdig, die Jüngeren tollend und kreischend. Dann dürfen wir endlich passieren.

Zurück im Camp will ich mich in den fröhlich gluckernden Bach stürzen. Eine meterbreite Ameisenstraße versperrt mir den Zugang. Ich sprinte hindurch – und bereue es sofort. Dutzende der Biester sausen meine Beine hinauf; mit einem gewaltigen Satz springe ich in die Fluten. Sprudelnde Wellen befreien mich von den Plagegeistern – im schäumenden Wasser bin ich wild geborgen.

Am Abend liege ich in meiner Hängematte. In mir wirbeln Bilder von Boas und Termitenbauten; tropische Riesenblüten locken mit betörendem Duft. Noch einmal kollabiert mein Reisebus mit metallischem Schrei.
„Relax!“, meint der Urwaldriese direkt vor dem Eingang. Langsam lasse ich los. Nur noch mit halbem Ohr höre ich die Affen an der Vorratshütte werkeln – unter mir wispern die Ameisen.


Kommentar des Verfassers der Kakamega-Erzählungen:

Die Erlebnisse im Kakamega Forest (Teile 1 bis 4) haben sich genau so in den frühen 1990er-Jahren ereignet. Ich war damals Teilnehmervertreter einer großen Gruppe von Stipendiaten in Kenia, besuchte viele ihrer betreuten Projekte und versuchte, sie miteinander zu vernetzen.

Aus entwicklungspolitischer Sicht erschien mir das hohe Engagement der Stipendiaten besonders wertvoll. Alle wollten mit großem Einsatz zeigen, was sie im Studium gelernt hatten. Viele arbeiteten weit über die üblichen vierzig Stunden pro Woche hinaus und knüpften enge Bekanntschaften und Freundschaften mit Einheimischen.

Im Kakamega Forest trugen solche Forschungsarbeiten dazu bei, Schutzgebiete, Managementpläne und lokale Projekte zu initiieren. Die schlimmste Phase rasanten Flächenverlusts während der Kolonial- und frühen Nachkolonialzeit konnte deutlich eingedämmt werden – in den letzten zwanzig Jahren betrug der Rückgang nur noch etwa 6 bis 7 Prozent. Heute bestehen ausgewiesene Schutzgebiete und entsprechende Managementpläne.

Allerdings konnten illegaler Holzeinschlag, Fragmentierung und die Umwandlung in Plantagen- oder Landwirtschaftsflächen nicht vollständig gestoppt werden. Wie in vielen Entwicklungsländern klafft auch hier eine Lücke zwischen rechtlichem Schutzrahmen und praktischer Durchsetzbarkeit vor Ort. Trotz zahlreicher Programme zur Einbindung der Gemeinden – etwa durch Community Forest Associations, Projekte zur nachhaltigen Nutzung und Aufforstung – leben viele Waldbewohner weiterhin in Armut.

Die heute propagierte Kombination aus Wiederaufforstung, Schutz („Fence Project“), gemeinschaftlicher Beteiligung und frauengeführten Initiativen adressiert viele zentrale Faktoren – Biodiversität, Einkommen, Kontrolle – und bietet Chancen, dass sich die Situation vor Ort zumindest nicht verschlechtert, vielleicht sogar weiter verbessert.

Kommentare

Eine Antwort zu „Fragen, Termiten und Monsteraffen“

  1. Yannick

    Wirklich beeindruckend zu lesen! Die Wildheit des Jungles und der krassen Gegensatz der menschlichen Bedürfnisse kommen gut zum Ausdruck.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert